In diesem Blogbeitrag beschäftigen wir uns mit einer Frage, die Projektgruppen zur Evaluierung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz häufig diskutieren, wenn Belastungen identifiziert wurden, die Schutzmaßnahmen erfordern.
Ist denn wirklich jede Person für jeden Job geeignet? Gerade die ältere Garde der Führungskräfte vertritt nämlich nicht selten die These, dass die konkret identifizierten Stressbelastungen halt zum Jobprofil gehören und dass man hier nur wenig ändern kann (und will). „Wenn der Stress für den Beschäftigten zu viel ist, sind die betreffenden Mitarbeiter:innen fehl am Platz und sollten durch solche ersetzt werden, die den üblichen Stress aushalten.“ ist mancherorts die Meinung.
Personalvertreter richten das Wort dann meist an uns und fragen nach unserer Fachmeinung.
Wir als Arbeitspsycholog:innen antworten dann meist so: „Eine gute Arbeit bei der Evaluierung der Arbeitsbelastungen und Entwicklung der Schutzmaßnahmen kann bisheriges schlechtes Recruiting nicht wett machen. Es kann zukünftiges Recruiting aber erleichtern!“ Diese sehr verkürzte Antwort resultiert aus folgender Argumentationslinie.
Was wird bei Evaluierungsprojekten gemessen?
Ziel jedes Evaluierungsprojekts ist, konkrete psychische Arbeitsbelastungen (an teilweise sehr unterschiedlichen Arbeitsplätzen) zu identifizieren und – falls gefährdende Belastungen gefunden werden – diese durch geeignete Schutzmaßnahmen zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren.
Aus Mangel an rein objektiven Kriterien – also wann eine Belastung und damit auch die daraus resultierende Beanspruchung der Beschäftigten „normal“ (und daher durchaus nicht ungesund) ist und wann sie eine Gefährdung darstellt – wird auf sozialwissenschaftliche Methoden wie etwa Fragebögen zurückgegriffen. Hier werden Mitarbeiter:innen, die an einem bestimmten Arbeitsplatz arbeiten, mittels eines standardisierten Messverfahrens befragt.
Anhand dieser Methode betrachten wir die Thematik nun näher: Ziel ist hier nicht, den spezifischen Grad der Belastungsresistenz des Einzelnen bzw. das Wohlbefinden eines Individuums zu ermitteln, sondern Belastungen zu identifizieren, die potenziell gesundheitsgefährdend sind, egal ob Person X oder Person Y an einem bestimmten Arbeitsplatz arbeitet.
Konkret werden die Antworten aller Personen gesammelt, die an einem bestimmten Arbeitsplatz arbeiten, diese werden dann gemittelt.
Aus Anonymitätsgründen werden nur aggregierte Ergebnisse vorgestellt und bewertet. Wenn hier also Belastungsschwerpunkte oder konkrete Belastungen festgestellt werden, sind das keine Einzelmeinungen!
Das heißt nicht, dass es nicht auch Personen geben könnte, die resilient mit der Belastungssituation umgehen würden und deren Gesundheit dementsprechend nicht gefährdet wäre. Wäre „besseres“ bzw. „selektives“ Recruiting also die Lösung?
Eine Möglichkeit für die Zukunft: „Besseres“ Recruiting?
Eine in Projektgruppen immer wieder gehörte Argumentationslinie ist, dass Belastungen doch subjektiv unterschiedlich empfunden werden und man doch einfach gezielt Personen auswählen sollte, die den vorliegenden Stress gut aushalten. Zukünftig wäre es dann möglich, Personen zu rekrutieren, die diese konkrete Stressresistenz, die das spezielle Jobprofil verlangt, mitbringen.
Diese Annahme beinhaltet eine ganze Fülle von Fallstricken, die mitbedacht werden müssten:
- Erstens wäre ein „maßgeschneidertes“ Assessment-Center, das gezielt in bestimmten Tätigkeitsbereichen auftretende Belastungen berücksichtigt und die Bewerber:innen entsprechend „vermisst“, schon von seiner Konstruktion her sehr aufwendig.
- Man bräuchte dann für jede hohe Belastung in jedem Arbeitsbereich ein passendes Assessment-Center, um in diesem Aspekt resiliente Personen herauszufiltern.
- Vor allem aber wäre eine Abwägung erforderlich, ob das Unternehmen die talentiertesten und qualifiziertesten Bewerber:innen sucht oder einfach nur die „robustesten“. Immer, insbesondere aber in Zeiten eines massiven Arbeitskräftemangels, kann man die Idee, lieber gute Bewerber:innen abzulehnen, weil sie in einem speziellen Stresstest keine Bestwerte erzielen, als die entsprechenden Arbeitsbedingungen im Interesse aller zu optimieren, als mutig bezeichnen.
- An den Arbeitsbedingungen anzusetzen hilft hingegen allen, es ist der klassische Fall einer Win-Win Situation.
Die Chance
Jede Maßnahme zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen kann gleichzeitig auch als Employer-Branding Maßnahme für potenziell zukünftige Beschäftigte gedacht und vermarktet werden. Eine Arbeit, bei der unnötige Hindernisse und damit Frustrationen beseitigt werden, kann nicht nur viel effizienter geleistet werden, sie ist auch angenehmer, erhöht damit die Arbeitszufriedenheit und die Unternehmensbindung und in Folge über Mundpropaganda und Unternehmensratings den Ruf des Betriebes als Arbeitgeber.
Einen Bruchteil der Energie und der Kosten, die man in „Menschenselektion“ stecken müsste, in eine Optimierung der Arbeitsbedingungen durch Reduktion unnötiger Belastungen zu stecken, ist also ein weitaus lukrativeres Investment.
Sollten auch Sie notwendige Schutzmaßnahmen als Chance begreifen, kontaktieren Sie uns. Wir helfen Ihnen gerne dabei!